Arbeitszeit flexibler und differenzierter gestalten

Unternehmen brauchen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, neben wettbewerbsfähigen Produkten und Dienstleistungen intelligente, möglichst flexible Arbeitszeitregelungen. Unter dem Eindruck der Globalisierung, des demografischen Wandels und disruptiver Veränderungen in der Arbeitswelt infolge fortschreitender Digitalisierung müssen Arbeitszeiten noch flexibler und differenzierter werden als sie dies bei den meisten Unternehmen ohnehin schon sind. Hinzu kommt ein gesellschaftlicher Wandel, einhergehend mit einer veränderten Erwartungshaltung der Beschäftigten im Hinblick auf Arbeitszeiten, die sich vereinbaren lassen mit familiären Verpflichtungen.

Dies in Einklang zu bringen, ist eine der wichtigsten mitbestimmungspflichtigen Aufgaben der Betriebsparteien. Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens geben den Betriebsparteien zur Wahrnehmung dieser Aufgabe einen hochflexiblen Gestaltungsrahmen an die Hand. Dabei sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur täglichen bzw. wöchentlichen Höchstarbeitszeit, der Ruhepausen und der Ruhezeiten sowie zur Sonn- und Feiertagsarbeit, die durch die tarifvertraglichen Regelungen nicht eingeschränkt werden, zu beachten. Weitere gesetzliche Bezugspunkte sind das Teilzeit- und Befristungsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz.

I. Grundsätzliche Unterscheidung: Arbeitszeitvolumen / Arbeitszeitverteilung

Zu unterscheiden sind beim Thema Arbeitszeit (ungeachtet ob tariflich geregelt oder nicht) stets zwei wesentliche Aspekte: Einmal der Aspekt des Arbeitszeitvolumens (Dauer der Arbeitszeit), geregelt im Kapitel B des MTV sowie der Aspekt der Arbeitszeitverteilung, geregelt im Kapitel C des Manteltarifvertrages (MTV).

II. Arbeitszeitvolumen-Grundsatz: Die wöchentliche tarifliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden

Seit Mitte der neunziger Jahre beträgt die tarifliche wöchentliche (Vollzeit-)Arbeitszeit in der Metall- und Elektroindustrie bundesweit einheitlich 35 Stunden. Die Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 35 Stunden (dann handelt es sich um eine Teilzeittätigkeit) ist ebenso möglich wie die Vereinbarung einer verlängerten Arbeitszeit über 35 bis 40 Stunden pro Woche.

1. Arbeitszeitvolumen: Absenkung nach unten

Zwei grundsätzliche Absenkungsoptionen kommen in Betracht, eine individualvertragliche und eine kollektive, in Form einer Betriebsvereinbarung.

a) Individualrechtliche Absenkungsmöglichkeiten

So kann eine geringere wöchentliche Arbeitszeit als die tarifliche Regelarbeitszeit von 35 Stunden von vornherein, also bereits anlässlich der Begründung des Arbeitsverhältnisses, vereinbart werden. Das tarifliche Monatsentgelt des Beschäftigten entsprechend seiner Zuordnung zu einer der 14 ERA-Entgeltgruppen wird folgerichtig proportional zur von 35 Wochenstunden abweichenden Arbeitszeit angepasst. Dieser Effekt gilt für jede Form der Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit.

Unbefristete Arbeitszeitreduzierung im laufenden Arbeitsverhältnis

Möglich ist nach den gesetzlichen Teilzeitbestimmungen auch eine nachträgliche unbefristete Absenkung, also von einem Vollzeit- zu einem Teilzeitarbeitsverhältnis. Wenn der Arbeitgeber dem Anspruch keine betriebsorganisatorischen Ablehnungsgründe entgegenhalten kann, hat er dem Antrag stattzugeben. Die Reduzierungsoption ist hinsichtlich ihres Umfangs grundsätzlich nicht beschränkt.

Befristete Arbeitszeitreduzierung, insbesondere Verkürzte Vollzeit nach dem MTV

Seit 1. Januar 2019 eröffnet das Teilzeit- und Befristungsgesetz erstmals die Möglichkeit, für die Gesamtdauer von bis zu fünf Jahren die vertragliche Arbeitszeit befristet zu reduzieren. Auch diese Reduzierungsoption ist grundsätzlich hinsichtlich ihres Umfangs nicht beschränkt. Auch hier kann der Arbeitgeber im Einzelfall betriebliche Gründe entgegenhalten.

Diese gesetzliche Möglichkeit der befristeten Arbeitszeitreduzierung wird allerdings durch die Tarifregelungen zur sog. verkürzten Vollzeit unter folgenden Bedingungen verdrängt:

Beschäftige nach mindestens zweijähriger Beschäftigungszugehörigkeit können bis zu einer Gesamtdauer von 24 Monaten ihre bisherige wöchentliche (Vollzeit-)Arbeitszeit befristet ausschließlich im tariflichen Rahmen reduzieren, und zwar auf maximal 28 Wochenstunden. Der Tarifvertrag macht hier von einer gesetzlichen Öffnungsklausel im TzBfG Gebrauch.

Wahloption: Freie Tage statt T-ZUG (A)

Bestimmte Beschäftigtengruppen (Schichtbeschäftigte in Abhängigkeit von der Art und der Dauer der Schichtbeschäftigung sowie der Beschäftigungsdauer, unter bestimmten Umständen Eltern und solche Beschäftigten, die nahe Angehörige in häuslicher Umgebung pflegen) haben eine bis zum 31. Oktober eines jeden Kalenderjahres auszuübende Wahloption, anstelle der tariflichen Sonderzahlung T-ZUG (A) in Höhe von 27,5 % einer regelmäßigen Monatsvergütung (bei einer 5-Tage-Woche) acht freie Tage zu nehmen.

Da die Gewährung dieser acht Tage Auswirkungen auf das dem Arbeitgeber im Jahre der Gewährung zur Verfügung stehende Arbeitszeitvolumen hat, kann der Arbeitgeber nach Erörterung mit dem Betriebsrat die beantragte Gewährung ablehnen, sofern der dadurch drohende Arbeitsausfall nicht mit innerbetrieblichen Instrumenten (z.B. Auszahlung von Stunden auf Arbeitszeitkonten) kompensiert werden kann. Externe Instrumente wie z.B. Zeitarbeit oder Neueinstellungen bleiben hier nach dem klaren Wortlaut der Regelung unberücksichtigt. Die Erörterungsgespräche sollten dazu genutzt werden, den gesamten gesetzlichen und tariflichen Flexibilisierungsrahmen zum Wohle des Betriebes auszuschöpfen.

b) Kollektive Absenkungsmöglichkeiten

Schließlich sieht der Tarifvertrag alternativ zu den vorstehend beschriebenen individualvertraglichen Absenkungsmöglichkeiten noch einen Fall der kollektiven Arbeitszeitabsenkung vor. Danach können die Betriebsparteien bei vorübergehenden Beschäftigungsproblemen zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einheitlich für alle Beschäftigten oder für Teile des Betriebes auf eine Dauer von unter 35 Stunden bis zu 30 Stunden absenken.

2. Arbeitszeitvolumen: Ausweitung nach oben

Wenn das Arbeitszeitvolumen abgesenkt werden kann, muss es auch Regelungen geben, die den gegensätzlichen Effekt haben, die es also ermöglichen, das Arbeitszeitvolumen nach oben auszuweiten, sei es um vermehrte Teilzeit- oder Freistellungswünsche erfüllen zu können oder um auf eine positive Auftragsentwicklung ohne Neueinstellungen reagieren zu können.

Vereinbarung einer verlängerten Vollzeit

Der wichtigste Baustein ist die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer verlängerten, über 35 Wochenstunden hinausgehenden wöchentlichen Arbeitszeit. Dies kann von vornherein anlässlich der Begründung des Arbeitsverhältnisses geschehen oder im laufenden Arbeitsverhältnis.

Die wöchentliche Arbeitszeit kann bis auf 40 Stunden verlängert werden unter gleichzeitiger proportionaler Anhebung des Tarifentgelts. Hierbei sind zwei Besonderheiten zu beachten:

Zum einen haben beide Arbeitsvertragsparteien das Recht, mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten einseitig wieder zur tariflichen Regelarbeitszeit von 35 Stunden zurückzukehren.

18 %-Quote

Zum anderen beschränkt der Tarifvertrag diese Ausweitungsmöglichkeit auf maximal 18 % aller Beschäftigten des Betriebes. Über die Einhaltung der 18%-Klausel ist der Betriebsrat kalenderhalbjährlich zu unterrichten. Hat der Arbeitgeber in einem Betrieb zum Stichtag der Mitteilung mit mindestens 22 % seiner Beschäftigten arbeitsvertraglich von der tariflichen Verlängerungsoption Gebrauch gemacht, ist der Betriebsrat vor jeder weiteren Vereinbarung einer verlängerten wöchentlichen Arbeitszeit zu unterrichten und kann dieser weiteren Vereinbarung widersprechen. 

Erweiterte Quoten

Die 18 %-Quote ist betriebsbezogen im Wege einer freiwilligen Betriebsvereinbarung erweiterbar auf bis zu 30 % (im Zusammenhang mit einer Betriebsvereinbarung zur Zeitarbeit oder im Falle eines Fachkräftemangels) bzw. auf bis zu 50 % in Betrieben, in denen mehr als 50 % der Beschäftigten in die EG 12 und höher eingruppiert sind.

Berechnung der Quote nicht nach Köpfen: Volumenmodell

Die 18 %-Quote rechnet einfach nur „mit Köpfen“. Dabei wird nicht berücksichtigt, ob die tarifliche Vollzeit um eine oder um fünf Stunden verlängert wird, jede Verlängerung zählt m.a.W. gleich viel. Zudem werden auch Teilzeitbeschäftigte immer „voll“ gerechnet, eben pro Kopf.

Anders bei Anwendung des Volumenmodells, bei dem die Berechnungsbasis von Köpfen auf eine (Arbeitszeit)Volumenbetrachtung umgestellt wird. Als Äquivalent der 18 %-Quote gilt hier eine durchschnittliche betriebsbezogene wöchentliche Arbeitszeit von 35,9 Stunden (eine tariflich fixierte Zahl, die sich mathematisch als Höchstgrenze ergibt bei 18 % der Beschäftigten mit 40 Stunden und 82 % mit 35 Stunden).

Damit wird eine realistische Berechnungsbasis geschaffen, führen Teilzeitverträge hier doch „automatisch“ dazu, dass mehr Luft für verlängerte Arbeitszeitvereinbarungen nach oben verbleibt. In der Quotenlogik nach Köpfen betrachtet können sich so - je nach Umfang der Teilzeit im Betrieb – mitunter Verlängerungsmöglichkeiten für deutlich mehr als 18 % der Beschäftigten ergeben.

Im Falle des Zustandekommens einer Betriebsvereinbarung über erhöhte Quoten bei Zeitarbeit und einem Fachkräfte­engpass führt die Kombination der erhöhten Quote und der Anwendung des Volumenmodells zu einer Durchschnittszahl von 36,5 Stunden; im Fall der Erweiterung der Quote auf 50 % bei einem hohen betrieblichen Fachkräfteanteil gar von 37,5 Stunden pro Woche mit der Folge nochmals deutlich erhöhter Verlängerungsmöglichkeiten.

Das Volumenmodell gibt damit einen sehr großen Spielraum für die Gestaltung der Arbeitszeit­dauer, wegen der weit gesteckten Grenzen durchaus mit einem Wahlarbeitszeitmodell vergleichbar.  

Wichtig: Der Arbeitgeber entscheidet über die Anwendung des Volumenmodells allein, er hat den Betriebsrat darüber lediglich vorher zu informieren.

Auszahlungsoption: Bis zu 50 Stunden aus Arbeitszeitkonten

Angesichts oftmals voller Arbeitszeitkonten ist die tarifliche Auszahlungsoption für die meisten Betriebe sehr wichtig: Danach kann der Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat pro Kalenderjahr bis zu 50 Stunden je Beschäftigtem auszahlen, mithin den Arbeitszeitkontoausgleich insoweit in Geld statt in Zeit vornehmen und zwar - wie ausdrücklich geregelt ist - ohne Mehrarbeitszuschläge. Gelingt kein Einvernehmen mit dem Betriebsrat, wäre die Anrufung der tariflichen Einigungsstelle möglich.

50 Stunden pro Jahr entsprechen immerhin de facto der Möglichkeit einer (rückwirkenden) Arbeitszeitverlängerung von über einer zusätzlichen Arbeitsstunde pro Woche, die zudem neben allen anderen Verlängerungsmöglichkeiten besteht. Sie gilt damit auch für einen Tarifbeschäftigten mit einer 40-Stundenvereinbarung, sodass dieser eine vom Tarifvertrag erlaubte tatsächliche Arbeitszeitdauer von durchschnittlich über 41 Stunden / Woche im Kalenderjahr erreichen kann (mit entsprechender Vergütung ohne Zuschläge).

III. Arbeitszeitverteilung

Durch die unter II. dargestellten Volumenoptionen steht in der Regel fest, welches Arbeitszeitvolumen (unter Berücksichtigung des regelmäßigen Krankestandes, von Urlaub und Feiertagen usw.) der Betrieb zur Verfügung hat. Davon streng zu unterscheiden ist die Arbeitszeitverteilung, also die Frage, wie das Arbeitszeitvolumen auf die einzelnen Tage, Wochen und Monate des Kalenderjahres bzw. auch darüber hinaus tatsächlich verteilt wird, wann also konkret der Beschäftigte seine Arbeitsleistung im Gegenzug für den Erhalt seines Monatsentgelts erbringt.

Seit den 90iger Jahren gilt in der M+E-Industrie eine für die Wettbewerbsfähigkeit und Liefertreue sehr bedeutsame und tariflich vorgegebene Grundlinie, dass die Verteilung des knappen Gutes Arbeitszeit flexibel nach „Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse unter angemessener Berücksichtigung der Belange der betroffenen Beschäftigten“ zu erfolgen hat.

Bis auf arbeitszeitlagebezogene Zuschläge etwa für Mehr-, Spät-, Sonn-/Feiertags oder Nachtarbeit ändert sich durch die Arbeitszeitverteilung die Vergütung des Beschäftigten nicht, insbesondere nicht sein Monats­grundentgelt.

Der tarifliche Verteilungsrahmen entspricht dem gesetzlichen Verteilungsrahmen: so ermöglicht der Tarifvertrag die Verteilung des Arbeitszeitvolumens auf bis zu zehn Stunden am Tag und bis zu sechs Werktage in der Woche (und damit einschließlich des Samstags) – und dies zuschlagsfrei und selbstverständlich unter Berücksichtigung der umfassenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach dem BetrVG.

1. Ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit mit Ausgleichszeitraum

Grundsätzlich muss bei einer ungleichmäßigen Verteilung der Arbeitszeit diese im Durchschnitt von längstens zwölf Monaten ausgeglichen sein. Ist dies ausnahmsweise nicht möglich, kann der Ausgleichszeitraum auf maximal 16 Monate erstreckt werden. 

2. Ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit ohne Ausgleichszeitraum – Flexi-Konten

Ab dem 1. Januar 2019 besteht die Möglichkeit, auf der betrieblichen Ebene sog. Flexi-Konten einzurichten. Diese Konten „kennen“ keinen Ausgleichszeitraum. Ausreichend ist, dass sich der Kontostand des einzelnen Beschäftigten zwischen den betrieblich festzulegenden Ober- und Untergrenzen bewegt.

Hierbei können Ampelkontensysteme sinnvoll sein, die Warnschwellen oder besondere Genehmigungserfordernisse bei Überschreiten bestimmter Kontenstände vorsehen. Wie immer kommt es bei der betrieblichen Regelung der Auf- und Abbuchungsmöglichkeiten darauf an, dass die gebuchten Stunden betrieblich erforderlich und produktiv sind.

Eine Kombination der betriebsbezogenen Flexi-Konten mit Gleitzeit oder auch mit Formen mobilen Arbeitens ist möglich. Eine tarifliche Vorgabe zur Höhe der Ober- und Untergrenzen gibt es nicht. Zu beachten ist aber, dass immer dann, wenn eine betriebliche Regelung mehr als 300 Stunden Guthaben erlaubt, diese ab der 301. Stunde gegen Insolvenz zu sichern sind.

Für die betriebliche Einführung solcher Flexi-Konten ist eine freiwillige Betriebsvereinbarung erforderlich.