WELT-Gastbeitrag: "Wir dürfen uns nicht gegenseitig überfordern"

NRW-Metallarbeitgeberpräsident Arndt G. Kirchhoff in einem Gastbeitrag für die WELT mit grundsätzlichen tarifpolitischen Gedanken.

| In den Medien

 

Der Wechsel an der Spitze der größten Einzelgewerkschaft der Welt beim anstehenden IG-Metall-Gewerkschaftstag findet in gerade für unsere Industrie extrem herausfordernden Zeiten statt. Wohl selten waren die wirtschaftsstrukturellen Umbrüche so fundamental und die gesellschaftspolitischen Veränderungsprozesse so gravierend. Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland steht ernsthaft auf dem Spiel.

In dieser Situation verlässt mit Jörg Hofmann ein Gewerkschaftsführer die Kommandobrücke, der die IG Metall in den vergangenen 20 Jahren stark geprägt hat. Als langjähriger Bezirksleiter in Baden-Württemberg hat er zahlreiche Pilot-Abschlüsse verhandelt. Darunter fällt auch das Pforzheimer Abkommen im Jahr 2004, das den Flächentarif deutlich betriebsnaher ausgerichtet hat. Und unter seiner Führung hat die IG Metall gerade in den schwierigen Tarifrunden 2020 und 2021 mitten in der Corona-Pandemie bewiesen, dass sie bei aller Härte in der Auseinandersetzung in schweren Zeiten zu pragmatischen Lösungen fähig und ein verlässlicher Verhandlungspartner ist.

Allerdings hat die Gewerkschaft im Laufe der beiden vergangenen Jahrzehnte auch zu viele Tarifabschlüsse durchgesetzt, die aus ökonomischer Perspektive zu teuer und in der betrieblichen Umsetzung zu komplex waren. Das hat viele Mitgliedsunternehmen oft überfordert und mancherorts Narben hinterlassen – gerade in der durch ihren mittelständischen Zuschnitt geprägten nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie.

Aus unzähligen Debatten in unseren Gremien weiß ich, dass dadurch die Akzeptanz des Flächentarifs in unseren Unternehmen gelitten hat. Auch durch die wiederholte Androhung von 24-Stunden-Streiks hat sich bei unseren tarifgebundenen Unternehmen zuletzt wieder der Eindruck verstärkt, die IG Metall würde sie für ihre organisationspolitischen Interessen missbrauchen. Das hat zusätzlich Zweifel an der friedensstiftenden Wirkung des Flächentarifs genährt.

Gerade weil Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie zu den Konstanten und damit fest zur DNA der Bundesrepublik gehören, sollte die neue Führung der IG Metall diese Entwicklung ernst nehmen. Der Ordnungsrahmen des Flächentarifs wird dann infrage gestellt, wenn der tarifpolitische Rucksack mit zu komplexer Regulierung beladen ist. Denn so wird seine Last im Verhältnis zu nicht tarifgebundenen Unternehmen, zu ausländischen Wettbewerbern und auch zu anderen Branchen als unverhältnismäßig hoch empfunden. Und das kostet gerade beim Flächentarif besonders tragenden Mittelstand viel Reputation.

Die Tarifpartner sollten sich nicht gegenseitig überfordern

Unstrittig ist: Ohne den gesellschaftspolitischen Konsens zwischen starken Arbeitgeberverbänden und starken Gewerkschaften im Bemühen um einen tarifpolitisch fairen Ausgleich hätte Deutschland nie seinen Wohlstand erreichen können. Doch wir erleben, dass ganz allgemein die Bindungskraft von Institutionen wie auch die unserer Organisationen spürbar nachlässt.

Und so droht auch eine weiter abnehmende Tarifbindung. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Umso mehr muss es im Interesse beider Tarifparteien sein, gemeinsam eine aufrichtige Debatte darüber zu führen, warum in den letzten Jahren die Distanz zum Flächentarif größer geworden ist. Hierfür stehen wir Metallarbeitgeber gerade auch in Nordrhein-Westfalen jederzeit zur Verfügung.

Diese ehrliche Debatte sollten wir Tarifparteien in dem Bewusstsein führen, immer dann gute und tragfähige Lösungen gefunden zu haben, wenn beide Seiten die Anliegen der jeweils anderen fest im Blick hatten. Das sollten wir uns gerade deshalb in Erinnerung rufen, weil die Herausforderungen nicht geringer werden und auch neue Verteilungskämpfe drohen.

Wir tun als Tarifpartner gut daran, uns nicht gegenseitig zu überfordern. Denn egal von welcher Seite angestoßen: Ein die Grenzen der Akzeptanz verletzender Belastungstest mit überhöhten oder unrealistischen Forderungen kann nur für beide unverträglich sein. Mehr denn je werden wir tarifpolitische Lösungen brauchen, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe an ihren deutschen Standorten als Grundlage für eine möglichst sichere Beschäftigung erhalten, bestenfalls sogar verbessert werden kann.

Das wird schwer genug. Die Fachkräftesicherung unter den Bedingungen des demografischen Wandels erfordert enorme Anstrengungen. Die Transformation unserer Industrie hin zu einer klimaneutralen Produktion mit massiven Veränderungen in der Arbeitswelt muss bewältigt werden. Obendrein ist das alles zu managen inmitten eines hochgradig volatilen und immer komplexeren internationalen Umfelds.

Unsere Betriebe müssen sich in einer globalen Weltordnung behaupten, die immer mehr auf der Basis dirigistisch-autokratischer staatswirtschaftlicher Abschottungssysteme und weniger auf der Grundlage freiheitlich-demokratischer marktwirtschaftlicher Werte funktioniert. Das können wir alle gemeinsam beklagen, ist aber leider harte Realität.

Auch in schweren Zeiten wurden tragfähige Kompromisse gefunden

Der neu gewählte Vorstand der IG Metall wird sich gemeinsam mit uns in den Arbeitgeberverbänden diesen komplexen Herausforderungen stellen müssen. Denn die Veränderungen werden nicht ohne Auswirkungen auf unsere Tarifpolitik bleiben können. Die Gewerkschaft kann dabei aber auf eine Erfahrung bauen, die wir in unserer Industrie immer wieder gemacht haben:

Auch wenn es bei Metall zuweilen kräftig scheppert, so haben die Tarifparteien gerade in besonders schweren Zeiten die Kraft zu tragfähigen Kompromissen gefunden. Und wir haben zumeist in dem Wissen gehandelt, dass am Ende einer jeden Auseinandersetzung immer die Möglichkeit auf ein gutes Anschlussgeschäft gegeben sein muss. Ich hoffe, dass wir auch mit der neuen Führung der Gewerkschaft daran werden anknüpfen können.

WELT-Online: Zu viele Tarifabschlüsse haben bei den Unternehmen Narben hinterlassen

Der Gastbeitrag von Präsident Arndt G. Kirchhoff erschien am 20. Oktober 2023 in der Print-Ausgabe der WELT.

Zurück